34. SONNTAG im Jahreskreis
Mt. 25, 31-46
Das Weltgericht. Dieses Evangelium will uns nicht eine Information darüber geben, was genau „am Ende der Zeit“ , beim „Weltgericht“ passiert. Es will uns aber darauf aufmerksam machen, worauf es jetzt, in diesem Leben ankommt, was für unser Leben alles entscheidend ist. Das geschieht nicht in einer trockenen Belehrung, sondern mit lebendigen, herausfordernden Bildern.
Unser Leben wird ein Ende nehmen. Wie das Ende sein wird, hängt davon ab, wie wir jetzt leben. Unser jetziges Leben hat Konsequenzen für unsere endgültige Zukunft. Es steckt ja auch tief in unserem Gerechtigkeitsempfinden, dass es Konsequenzen haben muss, wenn Menschen sich total daneben benehmen. Wir können uns nicht damit abfinden, dass Verbrecher ungestraft davonkommen. Als Menschen, die an Gott glauben, sagen wir: Unsere menschliche Rechtsprechung ist zwar fehlerhaft, aber Gott bleibt die letzte entscheidende Instanz. Dass es einmal ein Gericht geben wird, ist die Meinung aller Religionen, die je über das Schicksal des Menschen nach seinem Tod nachgedacht haben. Das sagt dann auch das heutige Evangelium. Nur ist die Gerechtigkeit Gottes anders, als unsere menschliche Gerechtigkeit. Das Gericht Gottes ist ein anderes als ein menschliches Gericht.
Im Tod findet unsere endgültige, persönliche Begegnung mit dem unendlich gütigen und liebenden Gott statt. In einem Hochgebet heißt es: „Wir werden ihn schauen, von Angesicht zu Angesicht. Vor Gott bleibt nichts verborgen. Alles tritt ins Licht: Meine verborgenen und geheimen Gedanken, auch meine stillen und verdeckten Taten, auch das, worüber nie geredet, nie berichtet, nie geurteilt wurde - auch das, was in meinem tiefsten Inneren sitzt. Die Begegnung mit Gott ist vor allem Offenlegung, erkennen und endgültig erkannt werden.
Aber nicht nur meine Schuld tritt ins Licht, sondern auch meine Unschuld, mein Widerstand gegen das Böse, dort wo ich barmherzig war und keine Gewalt gebrauchte, wo ich nach der Gerechtigkeit hungerte und Frieden stiftete. Auch die staunende Freude über das Gute im eigenen Leben gehört zum Gericht. In Wirklichkeit wird sich wohl beides in ein- und demselben Menschen ereignen.
Wenn wir Gott im Tod begegnen, werden wir zum ersten Mal in aller Klarheit erkennen, wer wir in Wahrheit sind und wie wir tatsächlich sind. Gott braucht nicht über uns zu Gericht zu sitzen; er braucht nicht auf uns einzureden, wie menschliche Richter auf den Angeklagten einreden. In der Begegnung mit dem liebenden Gott werden uns die Augen über uns selbst aufgehen. Wir werden schonungslos erkennen, wer wir wirklich sind. Die Begegnung mit Gott wird uns zum Selbstgericht. Wir selbst werden urteilen und dann das Böse in uns verurteilen.
Und so wird im Tod die Begegnung mit Gott die Begegnung mit der Wahrheit werden: der Wahrheit über Gott, der Wahrheit über die Anderen, der Wahrheit über die Welt und vor allem der Wahrheit über uns selbst. „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“- Joh 8,2. Wahrscheinlich zeigt sich gerade in solcher Klärung die unfassbare Barmherzigkeit Gottes. Wenn Jesus schon von uns verlangt: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“ sollt ihr vergeben (Mt 18,21-22), das heißt: Immer, ohne jedes Maß, ohne jede Vorbedingung ... wird Gott das dann uns gegenüber nicht erst recht tun? Das heißt aber: Wer das Erbarmen Gottes erhofft, darf seine Schuld nicht verdrängen, nicht verschleiern. Er kann das Erbarmen Gottes nur erhoffen und darf es nicht zur billigen Selbstverständlichkeit machen („Er wird mir ja eh verzeihen!“)
Wenn wir hoffend vor Gott treten, kann es geschehen, dass gerade sein Erbarmen alles in uns klärt, läutert und heilt. Dieses Aufeinandertreffen des unheiligen Menschen mit dem heiligen Gott führt notwendig und unabdingbar zu einer Läuterung des Menschen, die ihn „wie“ Feuer durchfährt. Das meint man dann auch mit „Fegefeuer“: nicht einen Ort, sondern ein Geschehen mit mir.
Die Begegnung im Tod mit Gott ist für uns die Stunde der Wahrheit, die wir wahrscheinlich - je nachdem wie wir gelebt haben - nur aushalten und durchstehen können, weil uns ein liebender Gott entgegenkommt, der uns „heil“, ganz macht. Das ist Gericht im Sinne Gottes. Bei ihm geht es nur um eines: Wer war glücklich, dass du gelebt, und geliebt hast.